Wie ein unschuldiges weißes Tuch Sittsamkeit, Liebe, Mord und Totschlag bringt und am Ende doch alles wieder sauber und rein wischt.
Die Geschichte vom Stofftaschentuch erscheint auf den ersten Blick vollkommen unscheinbar. Aber habt ihr euch vielleicht schon einmal gefragt, ob nicht vielleicht mehr dahinter steckt, als man denken würde?
Gibt es Botschaften, die sich hinter dem kleinen Tuch verbergen?
Warum ist es immer quadratisch?
Und was hat eigentlich der BH damit zu tun?
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Das Tuch, das sich in der Tasche eines Kleidungsstückes befindet, gibt es schon sehr lange – doch ehrlich gesagt, lange Zeit wurde es nicht so verwendet, wie wir es heute kennen:
In der römischen Antike war das Sudarium [sudor = Schweiß] aus Leinen gefertigt und wurde als Schweiß- und Mundtuch benutzt. Im alten Asien hingegen wurden kleine Tücher als Schutz vor direkter Sonneneinstrahlung verwendet.
Finger als Reinigungsinstrument
Könnt ihr euch vorstellen, dass es früher normal war, wenn sich das Gegenüber einfach mit den Fingern die Nase putzt?
Noch im Mittelalter war jede Art von Tuch und Stoff sehr teuer: alles wurde in aufwändiger Handarbeit hergestellt. Zum Entfernen der Exkremente aus der Nase wurden daher einfach die Hände und die eigene Kleidung verwendet.
Im 11. Jahrhundert, in der Blüte des Minnedienstes, erlangten die Tücher edler Damen aber eine ganz spezielle Bedeutung: als heimliches Liebespfand wurden sie von Rittern mit in den Kampf genommen. Das Taschentuch galt als Glücksbringer, das offensichtlich an den Waffen befestigt wurde [aber nur, wenn die Geliebte nicht bereits vergeben war, denn in diesem Falle wurde es vielmehr im Helm versteckt].
Todesstrafe!
Dieses kleine Accessoire hatte es in sich – wie Nasenhygiene zum Tod führte.
Um 1300 erfand ein flämischer Weber namens Baptiste Chambray das Drapesello panetto di naso. Langsam entwickelte sich das Taschentuch über Europas Grenzen hinweg zu einem wichtigen Accessoire der edlen Gesellschaft: Unter dem Namen Fazzoletto war es fester Bestandteil jeder Garderobe von vornehmen Adeligen und wurde gut sichtbar an der Kleidung angebracht [Oft war es zudem getränkt in Parfüm, um den eigenen Körpergeruch zu vertuschen].
Die Beliebtheit des kleinen Accessoires kannte unter Adeligen keine Grenzen. Im 15. Jahrhundert ging Sultan Mehmed II. Fatih so weit, dass er die Todesstrafe über diejenigen verhängte, die es wagten, trotz niederer Herkunft ein Taschentuch bei sich zu tragen.
Regentinnen und ihre Taschentücher
Ab der Renaissance wurden die Taschentücher zunehmend eleganter: Seide oder hauchfeines Musselin waren bevorzugte Materialien. Die Damen verzierten sie in kunstvoller Handarbeit mit Spitze und Stickereien.
Venedig galt zu diesem Zeitpunkt als Zentrum dieser Nadelspitzen-Handarbeit. Dort fand sich die feine Gesellschaft ein und von dort aus breitete sich die Mode aus.
Und so kam es, dass das Taschentuch bald auch aus gemalten Portraits nicht mehr weg zu denken war. Viele edle Damen ließen sich ebenso wie Königin Konstanze von Österreich und die englische Königin Elizabeth mit einem mit Spitze verzierten Taschentuch portraitieren.
Auch an William Shakespeare zog das Taschentuch nicht spurlos vorüber: Othello [dessen Spielort zufällig auch Venedig ist] schenkt seiner Frau Desdemona ein Taschentuch. Als sie dieses verliert, ist es für ihn ein Zeichen ihrer Untreue, was letztlich zum Tod der beiden führt.
Quadratisch, praktisch, gut!
Im 18. Jahrhundert trugen viele Menschen das Tuch als Statussymbol. Das Taschentuch galt als eines der kostbarsten Erbstücke und wurde an die jüngere Generation weitergegeben. Es wurde dann nicht nur weiterverwendet, sondern oft auch als Stoffstück in Kleider eingearbeitet.
So kam es, dass es bald unterschiedlichste Versionen gab: rechteckig, sehr lang, rund, groß, dreieckig. Je größer ein Taschentuch war, desto wichtiger war sein:e Träger:in. Alles war möglich und alles war erlaubt!
Das Taschentuch war auch am Hof des französischen Königs Ludwig XVI sehr beliebt. Seine Königin, die Österreicherin Marie Antoinette, war eine Stilikone ihrer Zeit. Als modische Vorreiterin ließ sie sich im Chemise a la Reine [das Chemisenkleid, das übersetzt soviel heißt wie das „Untergewand der Königin“] portraitieren – was zu dieser Zeit ein riesiger Skandal war!
Marie Antoinette empfand es als unästhetisch, dass es so viele unterschiedlichen Formen des Taschentuchs gab. So setzte sie 1785 ein Gesetz durch, das besagt: Das Taschentuch soll so lang wie breit sein! Oder vielmehr: keiner darf ein größeres Tuch als der König und die Königin von Frankreich tragen. Seltsamerweise ist sie eine der wenigen Regentinnen, die ohne ein Taschentuch portraitiert wurden!
Ein paar Jahre später rollten die Köpfe des Herrscherpaares. Nach dem Sturz der französischen Monarchie wurde die Einfuhr von Baumwolle preiswerter und der mechanische Webstuhl erleichterte die Herstellung von Stoffen.
Vom Taschen- zum Einstecktuch
Während die Damen ihre Taschentücher entweder in kleinen Beuteln, in ihren Ärmeln oder in Kleid- und Rocktaschen aufbewahrten, konnten die Herren sie nur in ihren Hosentaschen – sofern sie denn welche hatten – stecken.
Um ca. 1830 wurde allmählich die Brustleistentasche in den männlichen Kleidungsstücken etabliert. Damit bekam das Taschentuch eine neue Funktion: es wurde dekorativ in der Tasche drapiert.
Seit damals ist das Einstecktuch – wie wir es heute nennen – eines der buntesten und wildesten Accessoires der Herrenmode: Männer können sich modisch mit dem kleinen Stofftuch austoben und ihre wahre Identität preisgeben.
Die Erfindung des BHs
Doch nicht nur das! Habt ihr gewusst, dass das Taschentuch die Initialidee für den ersten BH war?
Am 5. September 1899 meldete Christine Hardt aus Dresden beim Kaiserlichen Patentamt das Frauenleibchen als Brustträger an – sie erfand damit einen der ersten BHs [bis dahin wurden ausschließlich Korsetts oder Schnürmieder getragen].
Diesen nähte sie aus fünf Damentaschentüchern und einem Paar Herrenhosenträgern. Das neue Wäschestück stand als Symbol für sich selbst. Christine Hardt hatte zu Lebzeiten allerdings keinen Erfolg damit.
Stofftaschentücher: eine Spionage-Geschichte
Im Krieg werden Accessoires nicht nur modisch verwendet: bereits im ersten Weltkrieg wurden Taschentücher zum Teil mit Landkarten bedruckt. Diese wurden Fallschirmspringern zur Orientierung mitgegeben, denn niesende Offiziere mit Blick auf ihr Taschentuch fielen deutlich weniger auf, als wenn sie ständig auf eine ausgefaltete Landkarte schauten.
Oder wenn ihr in eine Online Ausstellung über „Campaings on Cotton“ interessiert seid, klickt hier und erfahrt mehr über den [meist immer] spannenden Amerikanischen Wahlkampf und dessen Benutzung von Stofftaschentüchern.
Das Taschentuch en vogue
Durch die Depression und Stoffvorschriften, die im Zweiten Weltkrieg zur Geltung kamen, konnten sich viele Frauen keine neuen Kleidungsstücke mehr leisten. Stattdessen wurden die Outfits kreativ mit alten oder neuen Taschentüchern aufgepeppt und individuell gestaltet: Diese schauten aus Brustleisten heraus, waren am Gürtel befestigt oder konnten durchs oberste Knopfloch gezogen werden. Sie wurden kunstvoll ins Haar eingebunden oder an das Handgelenk geknotet.
In der Vogue wurde jeden Monat das Taschentuch des Monats der Firmen Burmel und Kimball beworben und die Haute Couture begann allmählich, Tücher zu produzieren.
Die Geschichte beweist es: Heute wie damals gilt das Stofftaschentuch als Trostspender, Retter in der Not, Erinnerungsstück an vergangene Tage und als wichtigstes Requisit für Pfadfinder oder Filmemacher:innen.
Es hat einen langen Weg hinter, aber noch einen viel längeren Weg vor sich: Wenn wir jetzt wieder anfangen, auf Stofftaschentücher umzusatteln, können wir einen kleinen positiven Eindruck auf die Umwelt hinterlassen! Lest hier mehr dazu!
Habt ihr denn eine persönliche Taschentuch-Geschichte, die ihr uns erzählen wollt? Wir würden uns freuen, sie zu hören!
Schreibt uns doch einfach einen Kommentar mit eurer eigenen Geschichte zum Stofftaschentuch. Wir freuen uns von euch zu hören!
Danke für diesen interessanten Blogpost. Hätte nicht gedacht, dass so viel Geschichte hinter einem simplen Stofftaschentuch steckt.
Lieber Gruß Muriel
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Wie schön, so eine besondere und vielfältige Geschichte.
Ich werde meine Semesterferien nutzen, um mir ein paar der hübschen Tücher zu nähen.
Danke!
Liebe Judith,
vielen Dank für deine Nachricht!
Das klingt ja super – wir freuen uns, dass du das Taschentuch auch für dich entdeckt hast und wünschen dir viel Spaß beim Nähen!
Wir Wenn du magst, schick uns gerne ein paar Fotos – wir sind immer neugierig und freuen uns über Eindrücke von handgemachten Kreationen 🙂
J’ai 56ans et j’avais besoin d’une kiné 2fois par jours à l’hôpital pour exercices respiratoires j’étais enrhumé et Maria ma kiné à décidé d’apprendre à me moucher car je le faisais mal. Elle a pris un grand mouchoir a carreaux et elle me moucher une narine après l’autre et qu’avec le mouchoir tissu j’aurais le nez moins irrité et c’est vrai ,au début j’étais gène mais elle été contente de le faire environ 10 mn à chaque fois Et tout les jours un nouveau mouchoir elle m’en a même offert trois a la fin depuis je n’utilise que des mouchoirs en tissu et quand je me mouche je repense à elle et maintenant j’ai ressorti tout mes mouchoirs en tissu c’est vraiment mieux que le papier et pour la planète . je vous enverrai des photos de mouchoirs si vous le souhaitez. j’attend de vos nouvelles..
Übersetzung:
Ich bin 56 Jahre alt und ich brauchte zweimal täglich eine Physiotherapeutin im Krankenhaus für Atemübungen. Ich war erkältet und Maria, meine Physiotherapeutin, beschloss, mir das Schnäuzen beizubringen, weil ich es falsch gemacht habe. Sie nahm ein großes kariertes Taschentuch und putzte mir ein Nasenloch nach dem anderen. Sie sagte, dass ich mit dem Stofftaschentuch eine weniger gereizte Nase haben würde und das stimmte auch, Am Anfang war mir das unangenehm, aber sie war froh, dass sie es jedes Mal 10 Minuten lang gemacht hat und jeden Tag ein neues Taschentuch. Sie hat mir sogar drei Taschentücher geschenkt. Seitdem benutze ich nur noch Stofftaschentücher und wenn ich mir die Nase putze, denke ich an sie und jetzt habe ich alle meine Stofftaschentücher wieder hervorgeholt, das ist wirklich besser als Papier und für den Planeten. Ich werde Ihnen Fotos von Taschentüchern schicken, wenn Sie möchten. Ich warte auf Ihre Nachricht.
J’attends une réponse si mon commentaire vous a plu
Liebe Pat,
leider sprechen wir drei kein französisch, daher benutzen wir eine Übersetzung App und hoffen, dass das funktioniert.
Vielen Dank für die schöne Anekdote. Wir lieben genau solche Berichte und würden uns über Fotos von den Taschentüchern freuen.
Alles Gute!
Chère Pat,
Malheureusement, nous ne parlons pas français tous les trois, nous utilisons donc une application de traduction et espérons que cela fonctionnera.
Merci beaucoup pour cette belle anecdote. Nous aimons justement ce genre de récits et serions ravis de recevoir des photos des mouchoirs.
Bonne chance !
D’accord envoyé moi votre adresse email ou téléphone et ok pour les photos. Salutations et merci de votre attention
Hallo,
eine sehr interessante Darstellung und Geschichte der Taschentücher, wir sammeln und haben über tausend davon seit ca. 1870 bis 1970 sehr feine bis zu schönen aus Leinen bis modern.
Es gibt so viele Muster und die vielen Stiche und Arbeit ist bewundernswert!
Wer wird diese Kunst noch können?