Warum Nähen mit der Hand minimalistisch und aktivistisch ist // Ideen #12

Seit unzähligen Jahrtausenden nähen Menschen wir mit der Hand. Heute ist das Nähen allerdings für manche eine große Herausforderung: Es kostet Geduld, Zeit, praktisches Geschick und natürlich eine Art Grundwissen.

Warum ihr trotzdem ab und an von der Nähmaschine zu Handstichen wechseln solltet, verraten wir euch in diesem Artikel. Außerdem planen wir, euch nach und nach die schönsten Nähte und Techniken per Hand und ihre besonderen Anwendungsgebiete zu zeigen.

Über Zehntausende von Jahren haben wir ALLES mit der Hand genäht. Der Mensch hat vor ca. 20,000 Jahren bereits aus Fischgräten, Knochen oder Horn Nadeln gefertigt. Mit diesen hat er Kleidung genäht oder Netze geknüpft hat.

Warum also sollten wir, wenn dieses Handwerk und das Arbeiten mit der Hand tief in unserer DNS verwurzelt ist, zur schnelleren Maschine greifen? Oftmals ist eine Handnähnadel schneller eingefädelt als eine Maschine aufgebaut, die Unterspule aufgespult und der Oberfaden eingespannt. Garn abschneiden, in die Nadel einfädeln: zack fertig!

Nähen ist Frauensache

Bevor das Nähen als „weibische Frauensache“ negativ abgestempelt wurde, hatten jahrhundertelang die Männer die Oberhand in den meisten textilen Berufen. [Und wenn man es strenger betrachtet, fallen einem auch bei heutig aktuellen Modedesigner:innen mehr Männer auf Anhieb ein: Dior, Armani, Manolo Blahnik, Alexander McQueen…] Frauen hingegen übten früher meist nur Zierarbeiten aus, entweder als Verdienst oder im Heim.

Junge Frau beim Schein einer Lampe nähend (Gemälde von Georg Friedrich Kersting, 1825)

Bis zum Zweiten Weltkrieg war es Frauen sogar verboten [und tatsächlich war es sogar stark verpönt], den Beruf der Herrenschneiderin zu erlernen. Sie durften hingegen aber als Modedesignerinnen [Rose Bertin beispielsweise war die Modeschöpferin für Marie Antoinette] und Kleidermacherinnen arbeiten.

Während des Krieges und dem daraus resultierenden Herren-Engpass erkämpften sich Frauen mühsam den Weg in die Arbeitswelt. Und so wurden auch ursprünglich reine Herrenberufe wie das Herrenscheider-Handwerk den Damen zugänglich. Erstmals war es ihnen möglich, sich nicht mehr ausschließlich mit Kleidern, Hutputz, Spitzenklöppelei und anderen Handarbeiten befassen. Sie durften nun auch richtige, geschneiderte Anzüge für Herren fertigen. Wobei wir hier betonen wollen, dass es Frauen trotzdem bis in die 1990er Jahre schwer hatten, von den Herren im selben Beruf ernst genommen zu werden.

Nähen mit der Maschine oder mit der Hand?

„Mittler zwischen Hirn und Händen muss das Herz sein“.

Fritz Lang „Metropolis“, 1927

Mit der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert wurden Maschinen zur Vereinfachung handwerklicher Tätigkeiten hergestellt. So kamen auch die stetig weiter entwickelten Nähmaschinen zuerst in der Massenproduktion in Fabriken zum Einsatz, ehe sie im 19. Jahrhundert auch nach und nach Einzug ins private Haus und Heim hielten. Anfang des 20. Jahrhunderts waren sie bereits aus dem Haushalt nicht mehr wegzudenken. Diese Arbeitsproduktivität nahm an Geschwindigkeit und Effizienz zu und hat bis heute nicht wirklich Halt gemacht.

Vintage Nähmaschine von Ideal- Nähen mit der Hand oder der Maschine?

Oft haben wir das Gefühl, mit der Maschine gehe alles schneller. Das kommt daher, dass wir in einem Zeitalter, das von technologischen Neuheiten nur so überschwemmt wurde, aufgewachsen sind. Alles, was wir langsam machen, gilt als ineffizient und das Handwerk wird nach und nach immer weniger geschätzt!

Detailaufnahme Schere schneidet Faden ab

Doch dieses Gefühl ist relativ jung. Denn wenn wir einmal einen Blick in die Vergangenheit werfen, so hat sich dieses Denken in den letzten 90 Jahren massiv verändert:
Denken wir nur 30 Jahre zurück: Handarbeiten waren sogar noch Teil des Schulunterrichts und wurden mit dem voranschreitenden technischen Zeitalter nur noch in ausgedünnter Form unterrichtet. Vor 50 Jahren war alles Selbstgemachte voll im Trend. Und vor 90 Jahren mussten junge Frauen noch ihre Aussteuer selbst nähen – oftmals in feinster Handarbeit ohne Maschine.

Wir wollen mit diesem Artikel natürlich nicht unsere liebsten Nähmaschinen verfluchen – sie sind definitiv große Helferinnen und erleichtern uns das Leben. Aber warum sollten wir uns ein Hightech Gerät anschaffen nur weil es beispielsweise 100 Stickereien ausführen kann. Wir können doch selbst mit unserer Hand noch unzählige weitere unterschiedliche und viel schönere Muster sticken. [Zudem werden Stickprogramme bei modernen Nähmaschinen vergleichsweise sehr selten verwendet und gehen trotzdem schnell kaputt. Normalerweise haben sie also kaum einen Vorteil für den oder die Käufer:in.]

Nähen mit der Hand ist minimalistisch

Wenn wir Nadel, Faden, Schere, Fingerhut und Stoff in die Hand nehmen, arbeiten wir sehr minimalistisch.

Die Arbeit kann überall und jederzeit geschehen: Auf dem Sofa, am Schreibtisch, in der Küche oder auf einer langen Zugreise. Wir sind viel flexibler, wenn wir unsere Arbeit einfach auf dem Schoß mitnehmen können!

Während manche Stiche mit der Hand Nähmaschinen-Stiche ersetzen, sind andere tatsächlich nur eine Art Hilfestellung. Zum Beispiel temporäre Befestigungen [wie der Heftstich], die dabei helfen, den Stoff zu fixieren bis wir mit der Nähmaschine die richtige Naht einsetzen. Solche Hilfsstiche verwendet man bei sauberen Saumverarbeitungen, beim Einsetzen von Ärmeln oder zum Fixieren von Schnittteilen für eine erste Kostümanprobe am Theater.

Manchmal sind Handstiche auch haltbarer und strapazierfähiger als Maschinennähte. Gerade im Bereich der historischen Kostümanfertigungen können Handnähte von großem Vorteil sein. Zwar werden wir heutzutage niemals ein Kostüm historisch akkurat herstellen können, weil uns genaue Kenntnis der damaligen Umstände fehlt. Dennoch können wir besondere (Zier-)Techniken anwenden und uns neue Fähigkeiten beibringen.

Wichtige Näh Utensilien Schere, Stecknadeln, Garn


Und: Es ist eine wunderbare sich selbst wiederholende Tätigkeit die euch in einen meditativen Zustand versetzen kann, Stress wird reduziert!

Warum wir Kleidung reparieren sollten

Reparieren mit der Hand

Nicht nur die schnellere Produktion von Kleidung wurde durch die Industrielle Revolution vorangetrieben, sondern auch die Anfertigung sogenannter „Mode Kollektionen„. Erstmals wurden diese nun zyklisch produziert und präsentiert.

Eines der ersten Modehäuser, das eine Modenschau mit echten Models statt Schneiderbüsten zeigte, war das „House of Worth“ in Paris in den 1860ern. Charles Frederick Worth ist auch der erste Modedesigner, der ein Etikett seiner Marke in die Kleidung einnähen ließ – die Haute Couture war geboren.

Zur Jahrhundertwende verbreiteten sich diese „Fashion Parades“ auch nach London und New York, wo nun regelmäßig zyklische Kollektionen von Modehäusern präsentiert wurden. [Meistens im Jahres- oder Halbjahres Intervall.]

Über 100 Jahre später sind wir an einem Punkt angelangt, an dem einige Modeketten 52 Mikro Kollektionen pro Jahr herausbringen. Es wird in viel zu großer Masse produziert und zu einem so billigen Preis, dass unser Coffee To Go mehr kostet als ein T-Shirt.

Doch was hat das ganze mit reparieren und vor allem Aktivismus zu tun?

Reparieren ist ein aktivistischer Akt!

Erschreckend finden wir unser T-Shirt, das wir erst vor einem halben Jahr gekauft haben mit einem Loch! Statt es direkt in den Altkleider Container zu geben [Lest weitere Gedanken dazu in unserem Neujahrs Beitrag!] nehmen wir es an einem gemütlichen Abend vor dem Fernseher in die Hand und beginnen, es mit Nadel und Faden zu reparieren! Wie es ähnlich in einem Song von Oasis heißt, starten wir eine Revolution von der Couch aus!

Handstiche: Sticken und Socken reparieren. Flatlay mit Stickerei "Repairing is Caring" mit Näh Materialien

Dadurch sparen wir nicht nur Ressourcen ein, wir erhalten auch den Lebenszyklus des Kleidungsstückes und können länger damit Freude haben.

Uns wir lernen textile Arbeiten wertzuschätzen, denn: Hinter jedem Kleidungsstück sitzt eine Person [meistens eine weibliche im Globalen Süden]. Mit ihrer Arbeit verdient sie sich mit ihren Unterhalt, der leider oft nicht ansatzweise zum Leben ausreicht.

Das mag nun plakativ klingen, es ist aber leider so. Wenn wir durch eine Reparatur den Kauf eines neuen Kleidungsstückes sparen können, können wir quasi die Produktion eines neuen Kleidungsstückes zumindest aufschieben. Es ist natürlich keine 1:1 Rechnung, aber wir geben unser Bestes!

Denn warum sollte eine Baumwollsocke nicht repariert werden anstatt aussortiert? Vor allem wenn sie so schön bunt und viel zu schade zum Wegwerfen ist?!

Nähen mit ungewöhnlichen Materialien

Oft wird vergessen, dass neben Stoffen auch andere Materialien genäht werden. Beispielsweise werden Lederanfertigungen, wie Taschen oder Schuhe genäht. Auch Papier und Pappe sind tolle Materialien. Im Buchbinde-Handwerk kommen Nadel und Faden ebenso wie Klebstoff zum Einsatz. Aber auch ganz spezielle Materialien wie Metalle oder Thermoplast [ein Material, das im Theater oft verwendet wird: es lässt sich mit Zufuhr von hoher Temperatur in seiner Form verändern und ist vergleichsweise sehr leicht] können genäht werden.
Bei sehr festen und dicken Materialien müssen allerdings die Löcher vorgestanzt werden. Anschließend schließt man die Nähte per Hand.

Themenreihe Nähen mit der Hand

Detailaufnahme alte Garnrollen zum Nähen

Wir werden euch in einer Beitragsreihe rund um das Thema Nähen mit der Hand die schönsten Handstiche für verschiedene Einsatzmöglichkeiten zeigen. Aber wir möchten euch nicht einfach nur den Stich an sich zeigen, sondern damit direkt etwas Schönes anfertigen! Lerneffekt und Praxis in einem 🙂

Und sobald wir mehrere Techniken auf dem Blog vorgestellt haben, legen wir euch ein übersichtliches Glossar an, in dem ihr diese Möglichkeiten jederzeit nachschlagen könnt.

Links zum Thema Nähen mit der Hand

Wichtige Näh Utensilien Fingerhut, Nähnadel, Heftgarn, Garn, Handstiche Heftstich

Unsere wöchentliche Empfehlung

Ein herzliches Dankeschön geht an Muriel vom Blog und Podcast Nahtzugabe 5 cm, die bei ihrem Kleine Schwester Podcast „Zwischen Nadel und Faden“ [hört selbst rein!] unsere Webseite und Blog vorgestellt hat!
Zusammen mit ihrer Freundin Chrissy Pop hat sie ein Online Nähtreffen ins Leben gerufen, das in ein paar Wochen stattfinden wird, da alle Nähtreffen aktuell natürlich abgesagt sind. Leider ist es bereits ausgebucht, wir wünschen trotzdem viel Spaß und sind schon sehr gespannt, was alles genäht wird!

Hinterlasst uns eure Meinung zum Thema Nähen mit der Hand!

Näht ihr gerne mit der Hand? Kennt ihr bereits Handstiche, die ihr regelmäßig verwendet? Warum verwendet ihr sie? Welche Handstiche würdet ihr gerne erlernen?

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Nana

    Ich habe eben Euren Blog entdeckt!

    Ja, ich nähe gerne mit der Hand und nähe mir gerade eine Probebluse aus Nessel nur mit der Hand. Ich würde mir auch gerne ein Kleidungsstück mit der Hand nähen (etwas Bleibendes, nicht nur ein Probestück), aber dafür muß ich mich wohl noch ein wenig einlesen.

    Nana

    1. Malin

      Liebe Nana,

      das ist eine tolle Idee und wir sind gespannt, was du für eine Bluse nähst!
      Und wir sind ja auch immer der Meinung: einfach machen!!! Dann wird das schon 🙂

      Liebe Grüße

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